Wirkungsvolle physikalische Therapie bei Erkrankungen der Atemwege
Ein Beitrag von Dr. med. Joachim Schwarz, veröffentlicht in der Heilpraktikerzeitschrift "Naturheilpraxis"
Während des Zweiten Weltkrieges suchten Menschen Schutz in der Kluterthöhle in Ennepetal und bemerkten, dass ihre asthmatischen Beschwerden verschwanden. Es folgten Untersuchungen des Klimas unter Tage: Hier gibt es kaum Staub, kaum Reizgase, keine Allergene und Pollen. In dreizehn zertifizierten Kaltluftheilstollen in ganz Deutschland werden heute Therapien angeboten.
Als kurz nach dem Zweiten Weltkrieg der Schüler Gerdheinrich Humpert wieder einmal seinem Lehrer August Bartz beim Aufräumen in der Kluterthöhle half, kam ein Stein ins Rollen: „Gerdheinrich, warum gefällt es dir eigentlich so gut in der Höhle?“ fragte der Lehrer. „Herr Lehrer, ich habe so schlimmes Asthma. Aber immer, wenn ich in der Höhle bin, kann ich sehr gut atmen und es geht mir gut.“ Kurz darauf berichtete ein Mann aus Wuppertal, der während der Bombenangriffe vierzehn Tage in der Kluterthöhle zugebracht hatte, dass er seither von seinem schweren Asthma befreit sei.
Daraufhin wurden viele Untersuchungen und Messungen durch den Arzt Dr. Hermann Spannagel aus Ennepetal durchgeführt. Als er die Ergebnisse 1961 in der Zeitschrift „Jahreshefte für Karst- und Höhlen kunde“ veröffentlichte, kamen Nachfragen zu den Ergebnissen aus Ungarn, Polen, Tschechien, Österreich, Frankreich und aus der Sowjetunion. Die Erkenntnisse und therapeutischen Anwendungen in der Kluterthöhle wurden zum Muster für viele speläotherapeutische Einrichtungen in ganz Europa.
Was macht den Aufenthalt im Heilstollen so wirksam?
Heilstollentherapie – auch Speläotherapie genannt – umfasst den therapeutischen Aufenthalt in einer natürlichen Höhle oder einem stillgelegten Bergwerk. Die meisten dieser Einrichtungen sind sogenannte Kaltluftheilstollen – dreizehn davon sind im Deutschen Heilstollenverband zusammengeschlossen. Außerdem gibt es in Deutschland noch einen Salzheilstollen in Berchtesgaden und einen Radonheilstollen in Bad Kreuznach.
Kaltluftheilstollen
Zertifizierte Kaltluftheilstollen wie die Kluterthöhle erfüllen klimatische Gütekriterien: Die Temperatur liegt zwischen 5° C und 12° C, die Luftfeuchtigkeit bei mindestens 85 % RH (relative humidity). Eine hohe Luftreinheit wird gewährleistet durch Grenzwerte für Staub und Stickoxide (Tabelle 1). Pollen, andere Allergene und Rußteilchen sind in der Luft unter Tage nicht vorhanden. In der Tabelle sind die Werte des Tiefen Stollens in Aalen eingetragen. Diese zeigen beispielhaft, dass die tatsächlich gemessenen Werte oft deutlich unter den Grenzwerten liegen.
Die hohe Feuchtigkeit in der Luft bindet Staubpartikel jeder Art und führt sie zu Boden. Wird diese feuchte kalte Luft eingeatmet, wird sie in den Atemwegen innerhalb von Sekunden auf 37 °C angewärmt. Der Therapeut sollte die Teilnehmer unbedingt auf eine Nasenatmung hinweisen, da nur so die Luft schnell erwärmt werden kann und die tieferen Atemwege nicht durch die kalte Luft gereizt werden.
Die angewärmte Luft kann wesentlich mehr Flüssigkeit aufnehmen als die kalte Luft. Dadurch wird den Schleimhäuten Flüssigkeit entzogen, sie schwellen ab und die Patienten können wieder leichter atmen. Dieser Effekt kann praktisch unterstützt werden, wenn die Teilnehmer eine Wärmflasche für die Füße erhalten, um bei den Temperaturen unter Tage kalten Füßen vorzu- beugen. Kalte Gliedmaßen können ein Hinweis sein, dass sich die peripheren Gefäße zusammengezogen haben und es dadurch zu einer vermehrten Blutansammlung im Körperstamm gekommen ist. Das wiederum kann über das Anschwellen der Schleimhäute zu Fließschnupfen oder zu Obstruktionen in den Atemwegen führen.
Eine außergewöhnliche Stille
Mitten im Berg ist es einfach still. Keine Umweltgeräusche, kein Handyempfang und weg von der ständigen Bereitschaft, angesprochen und gebraucht zu werden. Nur Wassertropfen, die vereinzelt zu Boden fallen oder das Atmen und Flüstern anderer Therapieteilnehmer sind zu hören. Das Grundgeräusch ist so laut wie fallender Schnee – es ist einfach nicht zu hören, denn der Wert liegt bei 10 Dezibel (dB). Zum Vergleich: Wenn wir uns normal unterhalten, liegt der Schallpegel bei 50 dB. Da es sich bei der Dezibelskala um eine logarithmische Skala handelt entsprechen 3 dB jeweils einer Verdoppelung der Lautstärke. So ist die Lautstärke bei einem Gespräch nicht 5-mal lauter als im Stollen, sondern 10 000-mal lauter.
Radon im Heilstollen
Radon ist ein natürliches radioaktives Gas, das mit dem Uranzerfall entsteht und überall auf der Erde vorhanden ist. Beständig erhöhte Radonwerte, ob zu Hause oder am Arbeitsplatz, bedeuten ein erhöhtes Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken. Dabei gelten nach dem Strahlenschutzgesetz 300 Bq/m³ als Grenzwert.
Therapeutisch werden kurzfristig auch wesentlich höhere Konzentrationen wirkungsvoll eingesetzt in der Therapie rheumatischer Erkrankungen, wie der Bechterew’schen Krankheit und der rheumatoiden Arthritis. Ab einer Radonkonzentration von 37 000 Bq/m³ in der Stollenluft kann ein Heilstollen in Deutschland als Radonheilstollen zugelassen werden. Bad Kreuznach in Rheinland-Pfalz und Bad Gastein im benachbarten Österreich sind zwei bekannte Radonheilstollen.
Tatsächlich gibt es aber auch in jedem anderen Heilstollen und in jeder natürlichen Höhle einen etwas erhöhten Gehalt an Radon. Durch den zeitlich begrenzten Aufenthalt der Therapieteilnehmer wirken diese Impulse vermutlich antientzündlich und können so die Heilung von chronischen Atemwegserkrankungen wie COPD und Asthma sowie von chronischen Hauterkrankungen wie Neurodermitis unterstützen.
Indikationen und Kontraindikationen
Besonders geeignet ist die Heilstollentherapie bei chronisch obstruktiven Atemwegserkrankungen wie COPD und Asthma bronchiale. Aber auch Patienten mit Lungenfibrose und seit kurzer Zeit Long-COVID-Patienten finden wesentliche Erleichterung in der entlastenden Luft unter Tage. Bei älteren oder sehr geschwächten Teilnehmern, die nicht mehr genügend eigene Wärmeentwicklung aufbauen können, sollte besonders darauf geachtet werden, dass keine Unterkühlung auftritt. Eventuell werden in diesem Falle die ersten Aufenthalte auf 1 Stunde oder 1,5 Stunden gekürzt.
Bei einigen Patienten kommt es nach den ersten Tagen zu einer vermehrten Schleimproduktion und Husten. Trotz der geringen Staubbelastung und Allergenfreiheit ist das Klima unter Tage ein Reizklima, das eine solche Erstreaktion erzeugen kann. Normalerweise verschwinden diese Symptome nach einer Woche und die Atemerleichterung tritt ein.
Durch die Freiheit von Pollen und die abschwellenden Eigenschaften der Stollenluft eignet sich der Aufenthalt auch bei allergischen Erkrankungen der Atemwege wie Heuschnupfen, Sinusitiden und allergisch bedingtem Asthma. Wenn diese Patienten nach dem Stollenaufenthalt wieder in die pollenbeladene Luft über Tage eintauchen, empfinden sie, als ob sie durch eine Wand treten würden.
Immer wieder berichten Patienten mit Neurodermitis und anderen Hauterkrankungen, dass ihre Symptomatik durch den Aufenthalt unter Tage wesentlich zurückgegangen ist. Bei Schlafstörungen braucht es häufig einige Tage, manchmal auch 2 Wochen, bis die Betroffenen abschalten können und tatsächlich besser schlafen.
Kontraindikationen gibt es wenige, aber diese sollten beachtet werden:
- Platzangst und andere Angstzustände
- Anfallsleiden
- Akute Entzündungen der Atemwege
- Nicht behandelte oder instabile Herzinsuffizienz
- Wenn der Patient kaum noch eigene Wärme entwickeln kann (z.B. hohes Alter, schwere Erkrankung)
Wie läuft die Speläotherapie ab?
Optimal ist eine Dauer von drei Wochen. Jede Woche gehen die Patienten an sechs Tagen jeweils für zwei Stunden unter Tage. Dort können Sie auf Liegen warm eingepackt ausruhen. Eine Wärmflasche an den Füßen unterstützt dabei den Erholungseffekt.
Vor der Einfahrt können die Teilnehmer inhalieren und so unnötigen Schleim abhusten. Vor der Liegezeit wird oftmals eine kurze Gymnastik zur Lockerung angeboten und zu Beginn der Liegezeit werden einige Atemtechniken geübt. Diese Angebote unterscheiden sich je nach Einrichtung. Der Haupteffekt liegt aber in der Ruhezeit in der kalten, reinen Luft. Zu viel weitere therapeutische Intervention kann diesen Effekt stören.
Der Heilstollen als Therapieort kann unterstützend eingesetzt werden für:
- Lungensportgruppen, die dort ihre wöchentlichen Übungsstunden abhalten
- Atemschulungen unter Tage
- Kurse für Progressive Muskelentspannung, die z. B. von der Prüfstelle für Prävention zertifiziert sind
- Kinderprogramme, die den Tätigkeitsschwerpunkt auf Bewegen, Malen, Spielen und Erkunden legen und dabei die Atemwege entlasten.
Heilstollenorte
Besonders in Osteuropa (Tschechien, Polen, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Belarus, Russland u. a.) hat diese Therapie Tradition. In Deutschland gibt es zurzeit dreizehn zertifizierte Kaltluftheilstollen. Diese Einrichtungen erfüllen die gleichen Gütekriterien, unterscheiden sich aber in Größe, Zugang (zu Fuß, mit Grubenbahn, ebenerdig oder Treppe u. a.) und Anlage (Höhle, stillgelegtes Bergwerk). In Tabelle 2 sind die Einrichtungen aufgelistet.
Kosten der Therapie
Ist das Zentrum an einen Kurort angeschlossen, kann die Therapie innerhalb einer Kur als ortsgebundenes Heilmittel von der Krankenkasse bezahlt werden. In Baden-Württemberg gibt es Sonderverträge mit der AOK, sodass die Teilnehmer, nach Verordnung durch den Hausarzt, die Therapiekosten erstattet bekommen. An den anderen Orten müssen die Teilnehmer die Heilstollentherapie selbst bezahlen. Sie betragen zwischen 12 und 18 Euro pro Anwendung je nach Therapiezentrum. Für eine mehrwöchige Kur gibt es oft Pauschalangebote. Weitere Informationen sind über den Deutschen Heilstollenverband oder bei den einzelnen Einrichtungen erhältlich.
Fallbeispiel
Eine 45-jährige Patientin leidet unter Asthma, Heuschnupfen und einer Hausstauballergie. Nachts wird sie oft durch Husten oder Atemnot geweckt und morgens beim Aufwachen sind die Beschwerden besonders groß. Täglich nimmt sie 1-2 Hübe eines Cortisonpräparats.
Lungenfunktion vor erster Therapie: FVC (forcierte Vitalkapazität): 2,27 Liter (= 60 % des Sollwertes); PEF (Maximale Ausatmungsgeschwindigkeit): 4,62 Liter/Sekunde (=63 % vom Soll).
Nach 6 Therapieaufenthalten hatten sich der FVC-Wert (107 % vom Soll) und der PEF-Wert (103 % vom Soll) normalisiert. Nach weiteren 6 Anwendungen verbesserte sich der FVC-Wert weiter auf 4,59 Liter (121 % vom Soll). Das Cortisonpräparat konnte sie absetzen.
Surftipp
- Deutscher Heilstollenverband: deutscher-heilstollenverband.de
> Originalbericht aus der Zeitschrift "Naturheilpraxis" 11/2022
Dr. med. Joachim Schwarz
Er ist Heilstollenarzt der Grube Bindweide (Steinebach/Sieg) und Vizepräsident des Deutschen Heilstollenverbandes. Bis 2021 ärztliche Tätigkeit mit den Schwerpunkten Naturheilverfahren und Physikalische Therapie in eigener Praxis. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.